Mein ganz normaler „Nebenjob“
Wer wohl dieses Mal den Kampf um die allseits beliebte Azubi-Aufgabe „gewinnt“?!?
Es ist Dienstagmorgen, 07:15 Uhr. Die erste Mail des Tages ploppt rechts unten auf meinem Bildschirm auf. Betreff: „Milch auffüllen“. Ein kurzer Freudenjauchzer entfleucht mir, während ich die Mail, die alle kaufmännischen Azubis bekommen, öffne: „Hallo zusammen, könntet Ihr bitte die Milch in der Teeküche R 1.18 auffüllen? Vielen Dank“.
Die Azubis hier haben nämlich die höchst verantwortungsvolle Aufgabe, die Küchen mit Kaffee, Milch und Tee – für die Mitarbeiter steht übrigens alles kostenlos zur Verfügung – zu versorgen. „Klasse! Schöner kann ein Dienstag gar nicht starten“, denke ich mir und antworte allen, dass ich mich sofort darum kümmern werde. Kaum ist die Mail verschickt, klingelt mein Telefon. Maxi ist dran: „Also, wenn du zu viel zu tun hast, kann ich die Aufgabe auch übernehmen.“ Ich erkenne sofort den diabolischen Plan dahinter: mit seiner vorgetäuschten Kollegialität will er die Aufgabe an sich reißen! „Nein schon gut, Maxi! Du hast schließlich erst letzte Woche die Zollfahrt übernommen.“
Auch das ist eine Aufgabe der kaufmännischen Azubis neben den eigentlichen Tätigkeiten in den verschiedenen Abteilungen. Um in Länder außerhalb der EU exportieren zu können, müssen wir uns Dokumente vom Zoll unterschreiben lassen. Dazu schnappt man sich einen Firmenwagen und fährt zum Zoll nach Osnabrück. „Das stimmt. Aber dafür bist du heute auch schon für den Postgang eingeteilt.“
Der Titel der Aufgabe verspricht nicht zu viel: wir öffnen täglich die eingehende Post, sortieren sie nach Abteilung und verteilen sie anschließend im ganzen Werk. Verdammt, damit steht es 1:1. Noch bevor ich mir ein finales Argument für meinen Triumph überlegen kann, bekomme ich eine Nachricht via Teams von Ludmilla: „Hey Nadine! Ich wollte gleich sowieso die Bestände in unserem Vorratsschrank überprüfen und könnte mich dann auch direkt um die Milchversorgung kümmern“.
Das darf nicht wahr sein! Noch mehr Konkurrenz um die Aufgabe. Mir wird klar, dass ich nicht beide davon überzeugen kann, mir dieses Mal die Aufgabe zu überlassen. Jetzt muss ich einen kühlen Kopf bewahren. Ich wimmele Maxi ab, indem ich einen dringenden Anruf vortäusche und lege auf. Ludmillas Nachricht ignoriere ich einfach und renne los zum Vorratsschrank. Ich nehme mir ein paar Liter Milch und mache mich freudestrahlend auf den Weg zur besagten Küche. Doch leider komme ich nicht weit: Maxi steht plötzlich kampfeslustig vor mir und dann taucht auch noch Ludmilla mit blitzenden Augen auf. Beide haben meinen Plan wohl durchschaut und versuchen mir inbrünstig die Milch zu entreißen.
Jetzt zahlt sich endlich das jahrelange Rangeln mit meinem kleinen Bruder aus: mit einigen gekonnten Griffen entkomme ich dem Gefecht, lasse meine beiden ringenden Rivalen zurück und bringe die heiß ersehnte Milch an den gewünschten Ort. Freudentaumelnd über meinen Sieg komme ich wieder an meinem Schreibtisch an und widme mich nun wieder meiner eigentlichen Tätigkeit. In diesem Fall steht das Buchen von Kontoauszügen auf meinem Plan. Da ploppt schon die nächste Mail auf: „Vielen Dank für die Milch. Ich habe leider gerade erst gesehen, dass sich auch der Kaffee-Bestand dem Ende neigt. Wärt ihr noch mal so lieb?“ Wer wohl dieses Mal den Kampf um die allseits beliebte Azubi-Aufgabe „gewinnt“?!?